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Hans Decruppe

Pressemitteilung von Hans Decruppe: Landtagswahl NRW: 48,63% der Wahlberechtigten nicht im Landesparlament repräsentiert - Linke zur Kleinpartei degradiert

Hans Decruppe, Kandidat der Linken im Wahlkreis Rhein-Erft I und auf der Landesliste NRW auf Platz 4,

erklärt zum Wahlergebnis der Landtagswahl am gestrigen Sonntag:

„Die Linke in NRW hat mit 2,1 % ein desaströses Wahlergebnis eingefahren. Sie wurde von den Wählern

zur Kleinpartei degradiert. Fragt man nach den Ursachen, so gibt es zwei Hauptpunkte:

1. Die erste Hauptursache liegt in der extrem geringen Wahlbeteiligung, die landesweit um 9,6% auf nur 55,5 % gefallen ist; in meinem Wahlkreis Rhein-Erft-Kreis I sogar um 10,1% auf 57,19%.

a) Die nähere Betrachtung und Analyse zeigt, dass insbesondere die Wahlberechtigten in prekären Wohngebieten, also Menschen aus Familien mit geringen Einkommen oder mit Sozialleistungsbezug nicht zur Wahl gegangen sind. Dies ist in meinem Wahlgebiet in Bergheim in mehreren Ortsteilen offensichtlich; so in den Stimmbezirken 01.2 Ahe (Wohnpark) mit 18,42 % Wahlbeteiligung, in 05.1 Zieverich (Wohnpark) mit 16,34% oder 06.1 Kenten-West mit 17,71%. Diese Feststellung ist auch in anderen Städten – landesweit, wie regional – empirisch überprüfbar.

b) Daraus kann man nur schließen, dass die in diesen Gebieten lebenden Menschen die Hoffnung aufgegeben haben, dass sich ihre soziale Situation parlamentarisch – also in Folge ihrer Wahlbeteiligung – zum Besseren wenden könnte. Darin eingeschlossen ist, dass viele Menschen ihre Hoffnung auf soziale Verbesserungen auch nicht mehr mit der Linken verbinden. Wer jahrelang Forderungen nach sozialer Verbesserung erhebt, ohne diese real – also für die Menschen spürbar – zu erreichen, wird auf kurz oder lang unglaubwürdig. Diese Menschen stellen sich die Frage: ‚Wozu soll man die Linken wählen, wenn diese zwar richtige Forderungen erheben, aber praktisch nicht umsetzen (können)?‘

c) Die Wahlbeteiligung und das Wahlergebnis in NRW zeigen zudem spiegelbildlich: Die Stimmabgabe bei Wahlen lohnt sich nur für Konservative (CDU +2,8%) und vor allem für die Besserverdienenden (Grüne +11,8%). Diese Klientel setzt auf parlamentarische Einflussnahme.

d) Das Wahlergebnis verschärft zudem die mangelnde demokratische Repräsentanz der Wahlbürgerschaft in Parlamenten: Fast jeder zweite Wahlbürger – genau 48,63 % der Wählerschaft (d.h. 44,5% Nichtwähler zzgl. 1,13 % Linke [146.611 Stimmen] und 3,0% Sonstige [435.686 Stimmen]) – werden im Landtag NRW nicht mehr repräsentiert. Die zu erwartende Regierung der Wahlgewinner aus CDU und Grünen würde trotz großer Mehrheit im Landtag nicht einmal 30% (nämlich nur 29,71%) der Wahlberechtigten repräsentieren.

e) Hier dürfte auch die Erfahrung der Menschen mit der Corona-Politik und die politischen Auswirkungen des Ukraine-Krieges durchschlagen. Diese Ereignisse sind externe Schocks, die demokratischparlamentarisch weder verursacht wurden noch zu verhindern waren und die zu einer Herrschaft bzw. Dominanz der Exekutive, also der Regierung und nicht demokratisch legitimierter Experten und Entscheidungsstrukturen führten. Viele exekutive Maßnahmen – bei Corona wie zum Ukraine-Krieg - waren und sind einschneidend, wurden und werden als autoritär und nicht nachvollziehbar empfunden, insbesondere als nicht sozial bzw. als einseitig ungerecht. Den Menschen bleibt nur die Haltung: ‚Wenn ich schon nichts zu sagen habe, bleibt mir nur die Verweigerung.‘ Diese Verweigerung trifft auch die Linke.

f) In diesen Kontext externer Schocks gehören auch die Katastrophenszenarien des Klimawandels und deren Bearbeitung durch die Regierungsverantwortlichen. Wie sich dies auf das Wahlergebnis ausgewirkt hat, – außer in Stimmen für die Grünen –, ist derzeit an Hand des aktuellen Materials der Wahldaten (noch) nicht bewertbar.

2. Die zweite Hauptursache der Niederlage der Linken bei der Landtagswahl liegt parteiintern, nämlich auf Ebene der Bundespartei in der unklaren politischen Haltung zu zentralen (bundes-)politischen Fragestellungen. Die nicht bearbeiteten inhaltlichen Fragen – z.B. welche Rolle hat die Linke
gesellschaftlich und im bundesdeutschen Parteisystem einzunehmen, zur Sozialpolitik, zur Außenpolitik u.a. – ermöglicht es den politischen Gegnern, der Gesamtpartei oder ihren Repräsentanten diffamierende Etiketten wie ‚Putinversteher‘ anzuheften oder wie es aktuell der Bundesvorstand des Jugendverbandes [´solid] in Kooperation mit Medien gezielt getrieben hat, mit Halbwahrheiten eine ‚MeToo‘-Kampagne zu inszenieren. Hier ist in den letzten Jahren bis in Kreisverbände hinein eine Unkultur der innerparteilichen Streitsucht und Verleumdung entstanden, die die Verletzung von Vertraulichkeit, die Verbreitung von Unwahrheiten über andere und deren Weitergabe an Medien einschließt. In einem solchem (selbst-)zerstörerischen Klima, das von politischen Gegnern und Medien nur dankbar aufgegriffen wird, kann man keinen erfolgreichen Wahlkampf führen.

3. Die Linke hat erst dann wieder eine Chance auch als parlamentarische Kraft, wenn die inhaltlichen Unklarheiten beseitigt und den selbstzerstörerischen innerparteilichen Kräften klare Grenzen gesetzt und das Wasser abgegraben wurde.

4. Gleichzeitig gilt es, die Strukturen zu stärken, die für eine Zukunftsfähigkeit einer linken Partei mit dem Blick auf soziale Gerechtigkeit und Sicherheit unverzichtbar sind. Dazu gehört vor allem die Stärkung der kommunalen Verankerung, die in NRW allein mit 497 Mandaten aus der letzten Kommunalwahl in allen Kreisen und kreisfreien Städten beachtlich und nach wie vor relevant ist. Und hierzu gehört die Intensivierung der betrieblichen Verankerung und der gewerkschaftlichen Betätigung; ein Feld, das mit rund 300 Linken in betrieblichen Funktionen (Betriebs- und Personalräten) sowie mehr als 30 hauptamtlichen Gewerkschaftssekretären in NRW auszubauen und zu entwickeln ist.

Bergheim, 16. Mai 2022